Overblog
Edit post Folge diesem Blog Administration + Create my blog

Vom Baumwollfeld bis zur Näherei: Kunden des Mode-Labels Jan’n June können die komplette Lieferkette jedes einzelnen Stücks nachvollziehen. Die Botschaft an die großen Marken: Transparenz ist möglich.

via enorm magazin newsletter von Carolin Wahnbaeck Fotoquelle CC0 pixabay 3eman_eu

Manchmal steckt die Revolution im Detail. Und manchmal steckt ein solches Detail in einer gewöhnlichen Cordhose aus blauem Stoff, mit weitem Schlag und hohem Bund. Was diese Hose von den meisten anderen Hosen unterscheidet, ist ihr „Hangtag“, in das ein schwarz-weißer QR-Code eingearbeitet ist. Eine Art digitales Fenster, durch das sich die gesamte Lieferkette dieser Hose verfolgen lässt, lückenlos vom Baumwollfeld bis zur Näherei. Das ist deshalb eine kleine Revolution, weil die Modewelt genau daran seit Jahrzehnten scheitert. Diese Cordhose vom jungen Modelabel Jan’n June aus Hamburg jedenfalls verrät ihre Herkunft. Ihr Stoff besteht aus türkischer Bio-Baumwolle, gesponnen zu Öko- Garn, gewebt in Deutschland, genäht im polnischen Breslau.

„Wir haben eine Eco-ID für jedes Kleidungsstück“, sagt Juliana Holtzheimer, 25, eine der beiden Gründerinnen. „Eine Art Personalausweis, den jeder ganz einfach mit seinem Smartphone scannen und abrufen kann. Denn Transparenz gehört zu nachhaltiger Mode einfach dazu. Und es hilft den Kunden, die wirklich konsequente Eco-Fashion vom Rest zu unterscheiden.“ Die Designerin – lange blonde Haare, lebhafte Augen – spricht, als wäre das alles ganz einfach. Dabei hat sie mit ihrer Geschäftspartnerin Anna Bronowski, 26, in den letzten zwei Jahren nicht nur eine durchsichtige Lieferkette, sondern auch ein kleines Unternehmen aufgebaut. Jetzt sitzt sie in einem grauen Sofa auf einer Veranda, eine schwarze Katze streicht miauend um ihre Beine, der Blick geht in einen Garten mit Obstbäumen und verwilderten Hecken. Denn Jan’n June logieren nicht in einer hippen Loftetage, sondern in einem Klinkerhaus in Wellingsbüttel, einem gediegenen Stadtteil im Nordosten Hamburgs.

Ruf nach Veränderung

Auf dem großen Tisch des ehemaligen Esszimmers stapeln sich Stoffberge, an den Wänden stehen volle Kleiderständer, eine Mitarbeiterin packt bestellte Ware in Pakete. Dies ist das Elternhaus von Anna Bronowski. Ihre Eltern sind für ein paar Jahre im Ausland – und haben das Haus den beiden vorerst überlassen. Zum Glück. „Wir haben den coolsten Job – jetzt müssen wir nur noch Geld damit verdienen“, sagt Holtzheimer. Und verrät, dass auch sie wieder bei ihren Eltern eingezogen ist – und beide nebenbei noch als Stylistin und in einer Bar jobben müssen. Das sei aber in Ordnung. „Wir wollen gar keinen klassischen Investor. Lieber eine Art Business Angel, der uns auch beratend zur Seite steht, denn Jan’n June soll gerne groß werden, aber wir würden dafür niemals unsere ID aufgeben“, sagt Bronowski.

Ihre ID, das ist die Identität der Gründerinnen: schicke, edle Mode für junge Frauen, die bezahlbar ist – und trotzdem öko-fair produziert sowie transparent. Die Idee kam den Freundinnen kurz vor Abschluss ihres Mode-Management-Studiums, bei einem Glas Wein im Hamburger Schanzenviertel. Über Monate feilten sie an ihrem Business-Plan, entwickelten Ideen zu Designs, Vertrieb, Logistik. Dann kratzten sie ihr Geld zusammen, bekamen ein Darlehen von ihren Eltern – und sammelten mühelos 10 000 Euro über eine Crowdfunding-Kampagne ein. Ein Jahr später, im August 2014, gründeten sie Jan’n June, benannt nach ihren Geburtsmonaten. 

Auch mit dabei: „Eine große Portion Naivität – aber ohne die macht das keiner“, sagt Holtzheimer. Zum Beispiel fanden sie erst im Anschluss heraus, dass sie ihr Crowdfunding-Geld noch versteuern mussten. Da waren es nur noch etwa 8000 Euro. „Aber Hindernisse gibt es immer. Und wir hatten ja nichts zu verlieren mit 24 Jahren. Im schlimmsten Fall wären wir um das Geld ärmer, aber um viele Erfahrungen reicher gewesen“, sagt Holtzheimer.

Das Geld ist aber nicht verloren gegangen, Jan’n June gibt es noch immer, im Gegensatz zu vielen anderen Öko-Mode-Labels, die schnell wieder eingehen. Denn das Fast-Fashion-Prinzip dominiert mit 95 Prozent Umsatzanteil noch immer den Modemarkt, wie Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zeigen. Die eigene Lieferkette durchschaut fast niemand mehr. Etiketten verraten oft nur Faserart, Herstellungsland und Waschanleitung. Dabei haben solche Teile häufig Dutzende Länder durchlaufen und mehrfach den Globus umrundet. Viele globale Modemarken arbeiten mit etlichen Webereien, Färbereien, Textilveredlern, Schneidereien und Nähereien zusammen. Das System von Sub- und Sub-Sub-Unternehmern ist undurchschaubar.

Doch Durchblick ist wichtig. Denn: „Fehlende Transparenz kostet Leben“, fasst der „Fashion Transparency Index“ vom April 2016 zusammen. Darin schreiben die britische Organisation Fashion Revolution und der Non-Profit-Verbund Ethical Consumer, Firmen könnten niemals Menschenrechte und Umweltstandards garantieren, wenn sie nicht wüssten, wer ihre Produkte herstellt, wo und unter welchen Bedingungen. „Wenn du es nicht sehen kannst, weißt du nicht, dass es passiert und kannst es nicht in Ordnung bringen“, schreiben die Autoren. „Es“, das sind unmenschliche Arbeitsbedingungen, marode Fabriken, giftige Chemikalien. Diese Tatsachen waren weitgehend unsichtbar, bis im April 2013 die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch einstürzte. 1127 Menschen starben, rund 2500 wurden verletzt. Die Katastrophe löste einen weltweiten Aufschrei aus – und den Ruf nach Veränderung.

Druck auf konventionelle Modehersteller wächst

Fashion Revolution kämpft seitdem für eine transparente, faire und nachhaltige Textilproduktion. Mit ihrer Kampagne #whomademyclothes kann jeder Konsument die Etiketten seiner Kleidung scannen und an die großen Modemarken schicken. Verbunden mit der Frage, wer genau dieses Teil hergestellt hat. Das Zwischenergebnis der Kampagne ist ernüchternd: 2015 konnte jede zweite Modemarke nicht die Fabriken ausfindig machen, in denen sie fertigen lässt. Drei von vier Firmen wussten nicht, woher ihre Stoffe stammen. Neun von zehn hatten keine Ahnung, woher ihre Rohstoffe kamen.

Zwar bemüht sich die Textilbranche mehr und mehr um Transparenz. Jedoch gibt nur ein Drittel von 40 der weltweit größten Modemarken Auskunft über ihre Produktionsstätten – und dies auch nur lückenhaft, wie eine Befragung des Fashion Transparency Index ergab. „Es ist natürlich viel schwieriger für die großen Modemarken mit ihrer riesigen Produktion“, sagt Bronowski. „Die müssen im Nachhinein das ganze Subunternehmer-System aufdröseln. Wir haben das von Anfang an mitgedacht, das war einfacher.“ Die Kunden von Jan’n June scheinen das Transparenz-Angebot zu nutzen, jeder QR- Scan wird nachvollzogen. Einziger Wermutstropfen: Die Eco-ID ist nicht eingenäht – dies ist noch zu teuer. Damit droht die Info schnell verloren zu gehen. Gleich, wenn man die Hangtags abschneidet.

Holtzheimer und Bronowski aber kennen die Mitarbeiterinnen ihrer polnischen Produktionsstätte persönlich: Wanda, Aga, Wiola und Asia heißen sie. Die Näherinnen haben polnische Arbeitsverträge mit geregelten Arbeitszeiten, Urlaubs- und Krankengeld. Die beiden Jan’n June-Macherinnen wissen auch, woher Reißverschlüsse oder Knöpfe stammen – bei jedem Kleidungsstück. Alle Zulieferer sind nach Öko-Textil-Labeln zertifiziert. Neben Jan’n June bieten dieses „Tracking“ der Lieferkette auch die Schweizer Dienstleister bioRE und Respect-Code: Marken wie Switcher oder Gerry Weber haben dort einzelne Kollektionen unter Vertrag. Deren Stücke verfügen über eingenähte „Tracking Codes“, die online zum Ursprungsland der Faser führen – und von dort zum Endverbraucher.

Jan’n June nutzen mittlerweile auch Stoffe aus alten PET-Flaschen; 2017 soll eine kreislauffähige Kollektion auf den Markt kommen. Ob und wann das einmal Gewinn abwerfen könnte, können sie momentan nicht sagen. Wichtig wäre das, denn ohne Profit wären die Bemühungen um Transparenz und Nachhaltigkeit wertlos. Immerhin: Jan’n June wächst, und damit auch der Druck auf die konventionellen Modehersteller.

Tag(s) : #Pioniere, #Paradigmawechsel, #Bewusstsein, #Wirtschaft, #Social Entrepreneur, #Umwelt, #Oekologie, #Oekonomie, #Gesellschaft, #International, #Ethik, #Corporate Social Responsibility
Diesen Post teilen
Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren: