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Muna Wagner, geboren 1982 in Brasilia, wächst in fünf verschiedenen Ländern auf und entwickelt früh eine Faszination für die Vielfalt der Kulturen und die Menschheit verbindende Elemente. Dieses Thema ist ein stetiger Begleiter in ihrem Beruf, sei es als freie interkulturelle Trainerin oder als Autorin der Kolumne „Über den Tellerrand“ und Gastbloggerin zu gesellschaftspolitischen Themen. Daneben schreibt sie Gedichte, von denen einige 2006 in Indien veröffentlicht werden. Dem Medium Film an sich und dem Drehbuchschreiben im Besonderen, das sie schon früh als erzählerisches Format begeistert, widmet sie sich 2009 mit dem Studiengang „Screenwriting“ an der New York Film Academy, USA. Mit dem Drehbuch FORGIVE AND FORGET, in dem es um die Vergebung in einer jüdisch-deutschen Familie geht, schließt sie ihr Studium ab. Für die indische NGO WasteLess verfasst sie 2012 Kurzgeschichten, in denen sie Kinder schrittweise an Umweltschutz heranführt; diese Geschichten werden an staatlichen Schulen als Lehrmaterial eingesetzt. Derzeit arbeitet sie nach STILLE (2015) an ihrem zweiten Kurzfilm DAS PICKNICK.
Muna Wagner, geboren 1982 in Brasilia, wächst in fünf verschiedenen Ländern auf und entwickelt früh eine Faszination für die Vielfalt der Kulturen und die Menschheit verbindende Elemente. Dieses Thema ist ein stetiger Begleiter in ihrem Beruf, sei es als freie interkulturelle Trainerin oder als Autorin der Kolumne „Über den Tellerrand“ und Gastbloggerin zu gesellschaftspolitischen Themen. Daneben schreibt sie Gedichte, von denen einige 2006 in Indien veröffentlicht werden. Dem Medium Film an sich und dem Drehbuchschreiben im Besonderen, das sie schon früh als erzählerisches Format begeistert, widmet sie sich 2009 mit dem Studiengang „Screenwriting“ an der New York Film Academy, USA. Mit dem Drehbuch FORGIVE AND FORGET, in dem es um die Vergebung in einer jüdisch-deutschen Familie geht, schließt sie ihr Studium ab. Für die indische NGO WasteLess verfasst sie 2012 Kurzgeschichten, in denen sie Kinder schrittweise an Umweltschutz heranführt; diese Geschichten werden an staatlichen Schulen als Lehrmaterial eingesetzt. Derzeit arbeitet sie nach STILLE (2015) an ihrem zweiten Kurzfilm DAS PICKNICK.
Autor von The MapMakersWorld BLOG: Muna Wagner Kolumne *NSFAQ "not so frequently asked questions" _Gedankenfutter
Was nicht zusammen kann bestehen, tut am besten, sich zu lösen.

Johann Christoph Friedrich von Schiller, 1759 - 1805, deutscher Dichter und Dramatiker

Wenn Sie sich die Frage der Trennung von Staat und Religion stellen, woran denken Sie dann als erstes? An die Kopftuchdebatte? Den Religionsunterricht an Schulen? Den obligatorischen Schwimmunterricht für muslimische Mädchen? Die Debatte um Integration von Geflohenen mit nicht christlichem Glauben in Deutschland? Die Kirche als zweitgrößten Arbeitgeber mit (eventuell überholten?) moralischen Ansprüchen an ihre Arbeitnehmer? Viele der hier aufgeworfenen Fragen zeigen Aspekte auf, wo Staat und Religion in Deutschland unweigerlich miteinander in Berührung kommen, Themen, die in den Medien und damit in der Öffentlichkeit breit diskutiert werden. Die Diskussion entbrennt immer dann, wenn Menschen „die“ Werte, auf denen ihr Selbstverständnis von sich und oftmals dann auch Deutschland beruht, durch andere Lebensweisen (sei es andere Religionen oder auch durch atheistische Weltanschauungen) bedroht sehen. Und die eigenen Werte sind unweigerlich mit der eigenen Identität verbunden. Im Zentrum der Debatte um das Verhältnis zwischen Staat und Religion steht daher auch immer die Frage nach der eigenen Identität. Wie begreifen Sie sich selbst? Sind Sie gläubig? Gehen Sie nie, selten, regelmäßig zum Gottesdienst? Oder ist Ihr Glaube frei von institutioneller Unterstützung/Bindung? Woran glauben Sie konkret: an die Existenz eines Gottes, mehrerer Götter, des Göttlichen? Den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist? Ihre Antworten auf diese Fragen geben sicherlich einen Einblick in Ihr Verständnis des Zusammenspiels zwischen Staat und Religion – der Staat als Regel- und damit Rahmengeber für das Zusammenleben und Religion als das, was eine entscheidende Rolle für die eigene Identität spielt – oder eben auch nicht. Denn für Atheisten wirkt sich die eigene Auffassung einer gottesfreien Welt ebenso prägend auf Identität und Rollenverständnis aus wie die von Gläubigen (egal welcher Religion). Mit anderen Worten: Ob Sie nun an eine höhere Macht glauben oder nicht – diese Einstellung spiegelt sich in Ihrer Auffassung vom menschlichen Zusammenleben wider.

Sicherlich könnte man die eingangs aufgezählten Praxisbeispiele erörtern, um sich der übergeordneten Frage des Verhältnisses von Staat und Religion zu nähern, doch da diese nicht nur thematisch breit, sondern vor allem auch immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert werden, soll es an dieser Stelle um eine andere Facette dieses Themas gehen, eine Facette, mit der wir alle jedes Jahr aufs Neue konfrontiert werden, unabhängig davon ob wir nun Atheisten oder gläubige Christen sind: mit der Steuererklärung und damit dem Aspekt der Kirchensteuer.[1]

Deutschland und Österreich sind weltweit die einzigen Länder, in denen der Staat die Kirchengelder einsammelt. In der Schweiz gibt es lediglich die Möglichkeit für Kantone dies ebenfalls zu tun, aber keine nationale Regelung. Selbst im erzkatholischen Italien gibt es lediglich eine sogenannte Mandatssteuer. Diese gestattet es dem Steuerzahler zu entscheiden, wem das Geld zufließen soll: einer Religionsgemeinschaft, sozialen Zwecken oder doch lieber dem Staat selber. In den meisten anderen westlichen Ländern gibt es weder Mandats- noch Kirchensteuer. Die verschiedenen christlichen Gemeinden müssen ihre Einkünfte aus Spenden selbst bestreiten. Der Staat eilt hier nicht zur Hilfe. Wir hingegen leben in einem Land, in dem es Sache des Staates ist dafür zu sorgen, dass die Kirche ihre Schäfchen ins Trockene bringt. Ein System, von dem sogar der Papst nur träumen kann.

Doch woher diese bereitwillige Unterstützung? Das Argument der „christlichen Tradition“ kann hierfür nun nicht wirklich gelten, denn auch die Niederlande, Frankreich, Großbritannien oder Spanien wurden vom Christentum geprägt, kennen aber heute keine Kirchensteuer mehr. Um dem Warum etwas auf die Spur zu kommen, lohnt sich ein Blick in die steuerliche Zahlenlandschaft. Im Jahr 2014 lagen die Steuereinnahmen der evangelische und der katholischen Kirche in Deutschland zusammengerechnet bei gut 10,6 Milliarden (in Zahlen 10.600.000.000) Euro – die katholische Kirche stand mit 5,68 Milliarden etwas besser da. Doch neben der Kirchensteuer bekommen die christlichen Gotteshäuser auch noch staatliche Leistungen in Höhe von rund 459 Millionen Euro jährlich von den Bundesländern (mit den Ausnahmen von Bremen und Hamburg), vor allem in Form von sogenannten Dotationen, zu denen die Finanzierung kirchlicher Behörden und Amtsträger zählt,[2] sowie diverse zweckgebundene Zahlungen. Letztere erhalten Religionsgemeinschaften „für die Erfüllung staatlicher Aufgaben im öffentlichen Interesse. Dazu zählen also auch konfessionelle Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser, Beratungsstellen (inklusive der Seelsorge in Gefängnissen und beim Militär), theologische Fakultäten oder auch schlicht der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Auch bei Gerichtsverfahren profitieren die Kirchen von ihrem guten Verhältnis zum Vater Staat. So werden ihnen bei Gerichtsverfahren die Gebühren gleich ganz erlassen. Das Bild der armen Kirchenmaus ist damit wohl nicht ganz zeitgemäß. Systemisch betrachtet sind damit Staat und Kirche aller säkularen Bekenntnisse zum Trotz fröhlich miteinander verbandelt. Gott sei Dank. Die Ironie dabei ist, dass sowohl die Trennung von Staat und Kirche, als auch die Kirchensteuer selbst beide gleichermaßen im Grundgesetz festgeschrieben sind. Aber nicht nur dort, auch auf Landesebene ist die Kirchensteuer verankert. Auch hier lohnt sich die Frage nach dem Warum. Und schnell wird man darauf gestoßen, dass der Staat dies nicht aus reiner Nächstenliebe am institutionalisierten Glauben macht. Die Bundesländer profitieren ebenfalls: Für das Eintreiben der Kirchensteuer werden sie prozentual beteiligt: Je nach Land mit zwei Prozent (Bayern), in der Regel mit drei Prozent und im Saarland mit 4,5 Prozent. Allein das Kölner Erzbistum nahm im Jahr 2011 dank der staatlich unterstützten Steuereintreibung 706 Millionen Euro ein, was etwa 79 % der Gesamteinnahmen des Erzbistums ausmachte. Kein Wunder also, dass der Staat sich seine fleißige Unterstützung nicht nur bezahlen lässt, sondern vor allem kein Interesse hat, dieses System zu beenden. Denn dann würde eine weitere, nicht unwesentliche Einkommensquelle für die öffentlichen Haushalte fehlen.

Nun mag man argumentieren, dass dieses deutsch/österreichische System der Kirchensteuereintreibung (was übrigens auch im Nationalsozialismus praktiziert wurde) ja durchaus seinen Vorteil hat. Schließlich tut die Kirche (sowohl die evangelische, als auch die katholische) doch so viel Gutes für die Gemeinschaft. Das kann man sicherlich so sehen. Doch neben ihrem gesellschaftlichen Engagement ist die Kirche auch Arbeitgeber. Und zwar der zweitgrößte in Deutschland. Und dass die Gelder nicht immer nur sozialen Zwecken zugeführt werden, dürfte spätestens seit dem Millionen teuren Prunkbau des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst kein Geheimnis mehr sein.

Während die Kirchensteuer jedem steuerzahlenden Bürger also ein Begriff ist, hört man über die Kritikpunkte[3], die neben FDP, Grünen und Linke auch einige kirchliche Gruppen äußern, wenig. Jedenfalls nicht in der öffentlichen Debatte um die Trennung von Staat und Religion bzw. Kirche. Noch weniger hört man allerdings darüber, dass andere Religionsgemeinschaften, wie die Alevitische Gemeinde Deutschland, die Heilsarmee oder auch die orthodoxen Kirchen, gänzlich darauf verzichten von der Kirchensteuer Gebrauch zu machen. Denn es ist ja nicht so, als ob das Grundgesetz die Kirchensteuer nur dem Christentum verbundenen Glaubensrichtungen zuspräche. Bedingung hierfür ist lediglich die Anerkennung der Glaubensgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Hält man an dieser Stelle kurz inne, so kann festgehalten werden, dass die Debatte um die Trennung von Religion/Kirche und Staat gesellschaftliche Themen betrifft, die sich eher um den Wertekanon und das Miteinander in der Gesellschaft drehen als um die Finanzpolitik.

Ein weiterer Punkt, der nur äußerst selten zur Sprache gebracht wird, ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit gesetzlicher Feiertage, die auf den christlichen Glauben zurückzuführen sind. Ist das einer pluralistischen Gesellschaft, in der wir heute leben, noch angemessen? Wie soll Integration langfristig wirklich funktionieren, wenn jeder am Karfreitag zu Hause bleiben muss, die Freizeit nicht wirklich frei gestaltet werden darf (Stichwort: Tanzverbot sowie „zensiertes“ Kulturprogramm – so dürfen Filme wie Das Leben des Brian von Monty Python nicht ausgestrahlt werden, weil sie das Christentum nicht in Ehren halten), dafür aber die eigenen religiösen Feiertage wie Ramadan, Divali oder Jom Kippur nur dann religiösen Bräuchen entsprechend feiern kann, wenn man sich hierfür einen Urlaubstag gönnt? Interessanterweise ist diese Feiertagskultur auch europaweit tief verwurzelt. Denn auch die Niederlande (die keine Kirchensteuer kennen) oder Frankreich, einer der Staaten, der Religion und Kirche laizistisch und damit aufs Strengste trennt, kennen und „feiern“ viele kirchliche Tage wie Ostermontag, Pfingstmontag und den ersten Weihnachtstag.

Wäre eine Abschaffung dieser Feiertage im Sinne einer strikten Trennung zwischen Staat und Kirche bzw. Religion? Oder profitiert nicht jeder davon, dass es Tage im Jahr gibt, wo die Arbeit wie der Konsum ruht, und man sich – gezwungenermaßen – mit anderen Dingen beschäftigen muss? Doch egal, ob Sie nun für oder gegen die Kirchensteuer sind, den (christlichen) konfessionsgebundenen Religionsunterricht befürworten oder nicht, oder mit einer Kopftuch tragenden Lehrerin zufrieden sind oder eben nicht: Wer A sagt, sollte auch B sagen. Wer das Zusammenspiel von Religion und Staat befürwortet, der kann dies nicht nur für seine präferierte Glaubensrichtung tun. Umgekehrt, wer für einen säkularen Staat ist, der sollte sich zumindest im Klaren darüber sein, dass dies in letzter Konsequenz auch die Abschaffung oder zumindest Neunennung/-verteilung von Feiertagen bedeutet, was wiederum nicht ohne Folgen für die Arbeitswelt (sowohl im Ablauf, als auch für den Arbeitnehmer) bliebe.

Doch egal welche Position man bei diesem Thema auch einnimmt, ob nun für einen Staat, der seine christlichen Wurzeln pflegt, oder für eine klare Verschiebung aller religiösen Aspekte in das private Leben eines jeden Einzelnen – eines sollte man dabei immer beachten: Das, was man für sich selber einfordert, sollte auch für den anderen gelten. Schließlich besteht eine Gesellschaft aus dem Zusammenschluss aller Individuen – ob nun gläubig oder nicht. Und im Idealfall gibt sie jedem die Freiheit sich selbst zu entfalten, ohne die Freiheit eines anderen einzuschränken.

[1] Machen Sie doch mal folgenden Selbstversuch und googeln Sie das Wort „Kirchensteuer“. Bei meinem Versuch im Mai 2016 fand die Suchmaschine 536.000 Treffer. Die Ergebnisse auf der ersten Seite stammen fast alle von Steuerberatern und -foren oder eben aus kirchlicher Hand. Lediglich ein Suchergebnis verweist auf einen Artikel einer großen deutschen Zeitung. Der stammt allerdings aus dem Jahr 2014. Etwa 43 Millionen Erwerbstätige und damit Steuerzahler hat Deutschland – aber Kirchensteuer ist wohl kein gutes Thema, wenn es um das Verhältnis von Religion und Staat geht. Kopftücher sind in diesem Fall einfach viel lukrativer.

[2] Die Dotationen sollen für Enteignungen im 19. Jahrhundert entschädigen. So wollte es die Weimarer Republik und so wollen wir es noch heute.

[3] Grundlegend wird kritisiert, dass eine Kirchensteuer gegen die grundgesetzliche Trennung von Staat und Kirche spreche und damit die Neutralität des Staates hinsichtlich Glaubensfragen nicht gewährleistet wird. Da die Kirchensteuer über die Lohnsteuer bzw. Einkommenssteuer erhoben wird, muss jeder Bürger seine Weltanschauung dem Staat preisgeben, was in den Augen der Kritiker als eine negative Religionsfreiheit gewertet wird. Kirchliche Gruppen beanstanden darüber hinaus, dass die Kirchensteuer verschleiere, dass es sich dabei um einen Mitgliedsbeitrag zu einer Glaubensgemeinschaft handele. Dadurch dass diese Steuer vom Staat eingetrieben werde, führe es zudem nicht nur dazu, dass die Kirchen als staatliche Institution wahrgenommen werden würden, sondern erhalte zudem auch veraltete Kirchenstrukturen, die den Gemeinden schade und die Bürokratie der Kirchen verfestige. Als ein weiteres Argument wird angeführt, dass die Einrichtung der Kirchensteuerkappung Besserverdienende ungerechtfertigt bevorzugen würde.

Tag(s) : #Kolumne, #Ethik, #Philosophie, #Achtsamkeit, #Gesellschaft, #Bewusstsein, #Bildung
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