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VonMichaelBruns via radio.de
Zwei Journalisten sind auf eine Weltreise gegangen, um das Geheimnis zu lüften, warum immer wieder die gleichen Städte die größten Popstars hervorbringen. Ihr Buch Sound of the Cities ist ein hervorragender Geschenketipp für alle Musikliebhaber.
Die Charts sind eine schlichte Liste mit Titeln und Interpreten. Die meisten Namen kennt man irgendwie aus dem Radio und während man die Titelliste von oben nach unten überfliegt, melden sich die Ohrwürmer von ganz allein im Gehirn. Was die Charts aber nicht verraten, ist die Tatsache, dass immer wieder ganz bestimmte Städte für diese Hits verantwortlich sind. Einige Städte dominieren nur für einen kurzen Zeitraum die Charts, aber daneben gibt es auch diese Städte, die wir ständig im Ohr haben, ohne es zu wissen. Die beiden Journalisten Ole Löding und Philipp Krohn haben sich auf eine Reise begeben, um den Geheimnissen dieser Pop-Metropolen auf den Grund zu gehen. Sie besuchten legendäre Orte und trafen Künstler und Schlüsselfiguren der Musikszene für Interviews. Daraus ist ihr Buch “Sound of the Cities” entstanden, ein musikalischer Reiseführer durch die Welt des Pop.
Wir sprachen mit den beiden Autoren über ihre Reiseerfahrungen, wie wichtig Radiosender für Musikstädte und die Künstler sind und welche Stadt man unbedingt erlebt haben sollte.
Wie ist eigentlich die Idee zu dem Buch entstanden?
Ole Löding: Philipp Krohn und ich sind schon lange leidenschaftliche Plattensammler. Wir sind beide an den Rändern Hamburgs aufgewachsen und haben unsere Jugend damit verbracht, die Hamburger Plattenläden nach Raritäten und besonderen Aufnahmen zu durchforsten. Als wir uns vor etwa zweieinhalb Jahren während eines langen Kneipenabends über diese Zeit austauschten und uns von unseren Lieblingsalben und Lieblingskünstlern erzählten, stellten wir überrascht fest: Ganz viele von Philipps Herz-Alben kommen aus New Orleans, San Francisco oder Chicago. Ich schwärmte davon, wie oft mich Songs aus Stockholm oder Wien begeistern.
Philipp Krohn: Und wir fragten uns, ob es zwischen Hamburger Künstlerinnen der 70er wie Inga Rumpf, Hamburger Schule Bands der 90er wie Blumfeld oder jungen Newcomern wie Spaceman Spiff Gemeinsamkeiten gibt. Daraus entstand die Idee, auf diese popmusikalische Reise zu gehen. In die wichtigsten Popstädte zu fahren, um dort Musiker, Clubbetreiber und Experten nach ihrer Stadt zu befragen und das mit persönlichen Eindrücken dieser Musikmetropolen zu verbinden. Als ich dann im letzten Jahr zum zweiten Mal Vater wurde und sich die Möglichkeit ergab, zusammen mit meiner Familie einen Teil meiner sechsmonatigen Elternzeit für einen Trip in die Vereinigten Staaten zu nutzen, war das der Startschuss für das Projekt. Insofern war für mich die Recherche zum Buch eine Mischung aus einer großartigen Familienreise mit ganz viel Zeit für die Kinder und drei Dutzend Interviews auf dem Weg. Seit ihrem Besuch von Graceland hören meine Kinder übrigens mit Begeisterung Elvis Presley.
Konntet Ihr am Ende die Reisekosten beim Verlag einreichen? Und habt ihr einen groben Überblick, wie viel das ganze gekostet hat?
Philipp Krohn: Wir sind erst mal auf eigene Faust losgefahren. Der Verlag hatte uns vorab die Zusage gegeben, das Buch zu veröffentlichen – dadurch hatten wir ein gewisses Budget, um zu planen. Hinzu kam die Erwartung, dass wir unser O-Ton-Material sicherlich im Radio versilbern könnten. Eine zehnteilige Serie im Deutschlandradio Kultur und eine Lange Nacht dort und im Deutschlandfunk haben wir aber erst hinterher vereinbart, als wir unser ganzes Material kannten.
Ole Löding: Unser Verlag Rogner & Bernhard hat uns auf herausragende Weise unterstützt, nicht nur finanziell, sondern vor allem auch durch die tatkräftige Unterstützung darin, dieses Buch schreiben und an die Öffentlichkeit bringen zu können. Allerdings ist „Sound of the Cities“ von Anfang an ein „Low Budget Projekt“ gewesen. Frühbuchertickets, Fernbusse, Couch-Übernachtungen bei Freunden, billige Hostel-Pritschen gehörten während der Reise immer dazu. Außerdem wurden wir von unglaublich hilfsbereiten und begeisterungsfähigen Künstlern oder ihren Managern mit den neuesten CDs ausgestattet oder auf Konzerte eingeladen. All das hat dieses Buch möglich gemacht. Bislang haben wir uns aber nicht getraut, einmal auszurechnen, was uns diese Reise gekostet hat. Vermutlich viel zu viel.
Was hattet ihr im Gepäck?
Ole Löding: Immer einen mp3-Spieler, mit dem wir uns durch die Musik der jeweiligen Stadt gehört haben, um einen Gefühl für ihren Sound, ihre Künstler und ihre Popgeschichte zu bekommen. Diese Songs haben wir in unserem Buch als „Mixtapes“ verraten. Oft hatten wir außerdem Einzeluntersuchungen zu den Metropolen wie beispielweise „Detroit Rock City“ oder „The North will rise again“ über Manchester im Gepäck. Zu Hause haben wir uns durch Berge von Schallplatten gearbeitet, um vor den Interviews noch einmal sorgfältig in den Liner-Notes zu stöbern.
Philipp Krohn: Prägend war für meine Familie auch, dass wir auf unserer USA-Reise praktisch permanent die Kinder-CD „Karius und Baktus“ gehört haben. Die Lieder und die Dialoge konnten wir bald auswendig. Wenn ich sie heute noch einmal höre, kommen mir die Bilder von der San Francisco Bay und vom Highway 1 die Pazifikküste entlang in Erinnerung.
Wie wichtig sind die lokalen Radiosender für die Musikszenen, die ihr unter die Lupe genommen habt? Gibt es da konkrete Beispiele?
Philipp Krohn: Schon historisch war die Existenz lokaler Musiksender von großer Bedeutung für die Entwicklung von Popmusik. Dass DJs wie Dewee Philips in Memphis oder Hamp Swain in Macon/Georgia die talentiertesten Soulsänger entdeckten, war die Voraussetzung dafür, dass sich dieser Stil verbreiten konnte. Nicht umsonst ist eines der wichtigsten Independentlabel der Popgeschichte „Sun Records“ ebenfalls von einem Radio-DJ, Sam Philips gegründet worden. Er hat dann Elvis Presley und Jerry Lee Lewis entdeckt, Johnny Cash, BB King und Howlin‘ Wolf aufgenommen.
Ole Löding: Lokale Radiosender sind, das wurde uns im Laufe der Reise immer klarer, unverzichtbar für die Künstler in einer Stadt. Sie sind die ersten Radios, die die Musik dieser Künstler einer größeren Öffentlichkeit vorstellen und damit als Multiplikatoren unschätzbar wichtig sind. Heute füllt diese Rolle beispielsweise FM4 in Wien aus. Ohne diesen umtriebigen, unangepassten Radiosender wäre die aktuelle Welle von Bands – Ja, Panik, Kreisky, Bilderbuch, Wanda – nicht vorstellbar. Manche sprechen deshalb sogar von den „FM4-Bands“. Spezielle Sendungen, die die Musik vorstellen, spielen dabei eine Rolle, aber natürlich auch das Engagement der Radiosender in der Stadt. FM4 beispielsweise fördert Veranstaltungen, richtet Festivals aus oder verleiht den prestigeträchtigen FM4-Award.
Philipp Krohn: Gleichzeitig muss man aber auch beklagen, dass mit der zunehmenden Formatierung von Radiosendern diese Rolle immer weniger ausgefüllt wird. Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland haben sich ohne Not aus einer gewissen Gleichgültigkeit und Leidenschaftslosigkeit zurückgezogen. Musik zu entdecken und kuratieren verstehen sie bedauerlicherweise nicht mehr als ihre Aufgabe. Was durch diese Leerstelle alles nicht populär geworden ist oder überhaupt entstanden ist, lässt sich gar nicht ermesse.
Gibt es für Euch eine weltweite Musikhauptstadt?
Ole Löding: Sicherlich muss man London nennen als eine Stadt, die seit Beginn der Popmusikgeschichte immer herausragende Künstler und Werke hervorgebracht hat. Philipp Krohn vertritt die, gar nicht so einfach widerlegbare These, dass London in jedem Jahr seit den 50er Jahren ein bleibendes Meisterwerk hervorgebracht hat. Von den Kinks und den Rolling Stones über Genesis und Pink Floyd bis zu The Clash, Talk Talk, Amy Winehouse oder Caribou.
Welches Meisterwerk hat London denn in 2015 hervor gebracht?
Philipp Krohn: Ich habe noch gar keinen vollständigen Überblick über 2015, aber vielleicht hat „In Colour“ von Jamie XX Potenzial, diese Rolle auszufüllen.
Ole Löding: Ich glaube, aber so etwas ist natürlich Spekulation, dass auch diese beiden 2015er-Alben aus London bleiben werden: “Wolf Alice - My Love Is Cool” und “Florence and the Machine - How Big, How Blue, How Beautiful”
Aber auch Stockholm als eine Metropole, aus der in den letzten Jahren der Großteil von Mainstreamwelthits gekommen ist, lässt sich als Musikhauptstadt bezeichnen. Stockholmer Songschreiber wie Max Martin (Backstreet Boys, Britney Spears, Pink, Katy Perry, Taylor Swift), DJs wie Avicii, Bands wie First Aid Kit oder Icona Pop und viele viele andere setzen zur Zeit Standards im globalen Pop.
Lebt Max Martin tatsächlich noch in Schweden? Und warum ist gerade Stockholm die Wiege des zeitgenößischen Pop?
Ole Löding: Ich würde nicht so weit gehen, Stockholm als Wiege des zeitgenössischen Pop zu bezeichnen. Aber als Weltzentrum des globalen Pop in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sehr wohl. Die Frage, warum dies so ist, hat uns während unserer Recherche sehr fasziniert und wir haben als Resulat eines der längsten Kapitel unseres Buches über die schwedische Hauptstadt geschrieben.
Kurz gesagt kommen in Stockholm mehrere Faktoren sehr produktiv zusammen: Stockholm ist als Hauptstadt musikinfrastrukturell herausragend mit Labels, Studios und professionellen Musikern aufgestellt. Dazu kommt eine lange Tradition von international erfolgreichen Superstars (von ABBA über Dr. Alban und Europe bis Roxette und Ace of Base), an die angeknüpft werden kann. Sicherlich spielt darüber hinaus die vorbildliche öffentlichen Musikförderung von Kindesbeinen an eine Rolle. Aber auch, dass sich Schweden immer schon sehr stark am internationalen Popmainstream orientiert hat, die meisten Schweden ein hervorragendes Englisch sprechen und das Land sehr offen ist für neue technologische Entwicklungen. Und schließlich - das haben uns die Künstler immer wieder gesagt - herrscht fünf Monate pro Jahr bitterkalter Winter. Das sind Monate, in denen sich die Musiker wunderbar in ihren Studios eingraben und neue Sounds entwickeln können.
Hieraus hat sich neben all den anderen innovativen und spannenden schwedischen Musikern und Bands eine beeindruckende Vielfalt von Hit-Produzenten entwickelt, die weit über Max Martin und seine Schüler Savan Kotecha, Dr. Luke und Shellback hinausgeht. Auch Bloodshy & Avant (u.a. Kylie Minogue, Madonna, Katy Perry) und den Produzenten RedOne (u.a. Lady Gaga, Jennifer Lopez, Mariah Carey) kann man nennen, dazu DJ-Stars aus Stockholm wie Eric Prydz (»Call On Me«), Sebastian Ingrosso, Steve Angello, Axwell von der Swedish House Mafia oder Tim Bergling alias Avicii. Nicht alle haben noch ihren Wohnsitz in der schwedischen Hauptstadt, in den allermeisten Fällen aber besitzen sie Studios und Labels in Stockholm und sind durch die Musikszene der Stadt geprägt worden. Max Martin beispielsweise lernte sein Handwerk als Protegé von Denniz Pop, der Ende der 80er Dr. Alban, Kayo und Leila K. zu Weltruhm führte.
Und welche Stadt hat euch besonders beeindruckt?
Philipp Krohn: Wir haben unterschiedliche Antworten. Ich war absolut begeistert von der vielfältigen Livemusikszene Austins. Einer Stadt, die sich gerade aufschwingt, eine der spannendsten Popstädte überhaupt zu werden, nicht nur aber auch aufgrund des „South By Southwest“-Festivals, das mittlerweile die Weltmesse der Popkultur ist. Die Stadt mit der größten Dichte an Lieblingsmusikern ist für mich Chicago. Dazu passt auch, dass ich den Aufenthalt dort sehr genossen habe, weil die Windy City eine sehr hohe Lebensqualität hat.
Ole Löding: Mich hat die Lebendigkeit, Gelassenheit und Offenheit Wiens beeindruckt. In kaum einer anderen Stadt wurde ich mit so viel Freundlichkeit, Interesse und Unterstützung empfangen wie dort. Künstler wie Peter Kruder oder Musiklegenden wie Thomas Rabitsch und Markus Spiegel nahmen sich viel Zeit, um mir ihre Stadt zu erklären, halfen mir, Kontakte zu knüpfen, erklärten mir das besondere Selbstverständnis der Popstadt Wien. Und natürlich konnten wir uns der Faszination von Städten wie San Francisco, New York oder Manchester nicht entziehen. Gerade in New York spaziert man von legendärem Club zu legendärem Club, von Plattencover-Schauplatz zu einzigartigem Studio, immer in den Fußspuren von Musikern wie Dylan, Hendrix, Reed oder Smith – und das alles im Abstand von nur wenigen hundert Metern.
Kultur wird zunehmend auch als Werkzeug für Stadtentwicklung eingesetzt, was viele Künstler häufig eher kritisch wahrnehmen. Wie sieht aus Eurer Sicht eine gelungene Kulturförderung aus?
Philipp Krohn: Kulturförderung, ob privat oder öffentlich, ist eine ganz ambivalente Angelegenheit. Nicht immer zu Unrecht fürchten viele Künstler, die sich der Subkultur verschrieben haben, eine Einflussnahme der Geldgeber und eine Beeinflussung ihrer Kunst, wenn sie Hilfe annehmen. Kein musikalischer Rebell möchte als öffentlich alimentierter Staatspopper verschrien werden oder sein Album von einem Getränkekonzern gesponsert sehen.
Ole Löding: Gleichzeitig helfen Fördermaßnahmen wie zum Beispiel die Hamburger Labelförderung oder die Initiative Musik durchaus vielen Künstlern entscheidend weiter. Kaum ein deutscher Musiker hat nicht schon in einem Tourbus der „Volkswagen Sound Foundation“ gesessen. Angesichts der Krise der Musikindustrie wären viele Künstler ohne Förderung heute oft nicht mehr in der Lage, Alben aufzunehmen oder auf Tour zu gehen. Gelungene Kulturförderung in diesem Sinne wäre also eine möglichst vielfältige und mutige Förderung ohne Zensur oder übermäßige Einflussnahme. Dies bedeutet aber auch, dass die Förderung nicht ausschließlich als Mittel zum Zweck verstanden wird. Kulturförderung, die Kunst vor allem deshalb fördert, weil sie Stadtmarketing betreiben will oder der Stadt ein bestimmten „Image“ verpassen möchte, benutzt die Künstler letztlich, zum Beispiel für die Aufwertung der Stadt als Tourismusmagnet. Viele Künstler, mit denen wir für unser Buch gesprochen haben, sehen gerade dieses „Benutztwerden“ sehr kritisch. Erst recht dann, wenn sich die Kulturförderung auf imagefördernde Großprojekte für eine bestimmte Einkommensschicht konzentriert wie die Hamburger Elbphilharmonie oder die neue Kölner Oper. Und währenddessen die Subkultur durch Clubschließungen (wegen Mieterhöhungen oder Sicherheits- und Lautstärkeauflagen ), Gentrifizierung und damit einhergehender Zerstörung von kulturellen Milieus (wegen zunehmend unbezahlbarer Probe-, Auftritts- oder Wohnräume) ausgetrocknet wird.
Es gibt immer mehr Musiker und Künstler, die über das Internet kollaborieren. Wie wichtig sind konkrete Orte noch im Zeiten des Internet?
Philipp Krohn: Wir haben im Laufe unserer Recherche immer wieder intensiv über diese Frage diskutiert und am Ende festgestellt: Bei allen erweiterten Möglichkeiten durch die digitale Technik, die raumunabhängiges Kommunizieren, Aufnehmen und sogar Musizieren ermöglicht, entsteht auch heute Kreatives immer noch an bestimmten Orten. Musiker treffen sich weiterhin in kleinen, stickigen Proberäumen, um dort ihre Songs gemeinsam zu entwickeln. Songschreiber-Teams versammeln sich für die Endproduktion immer noch in technisch hochgerüsteten Studios, um dort den letzten Schliff an ihren Welthits vorzunehmen. Fans besuchen immer noch Clubs, Konzerthallen und Stadien, um vor Ort gemeinsam mit vielen anderen Gleichgesinnten die Magie eines Konzertes zu erleben. Vielleicht kann man es so sagen: Das Internet ist ein hervorragendes Kommunikationsmittel, mit dem es Künstlern leichter fällt, in den Austausch mit ihren Fans zu gehen oder ihren Mitmusikern Demoaufnahmen zuzumailen. Auch wir haben viele Mittel des Internets während unserer Recherche intensiv genutzt und erst dadurch viele Dinge erst kennen lernen können. Wirkliche Kreativität braucht am Ende des Tages dann aber doch den persönlichen Austausch.