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via mobile db von Mathias Vogel
Einen Sommer lang bastelten 100 kreative Köpfe auf einem Schloss bei Paris an einer Utopie: Energieerzeugung und Produktion zurück in die Hände der Nutzer zu legen. Wir zeigen die spektakulärsten Objekte.
An einem Spätsommertag steht Daniel Kruse im Garten des Château de Millemont. Nach Wochen intensiver Arbeit in dem historischen Schloss, rund 40 Minuten von Paris entfernt, hat er Zeit für die großen Fragen.
Also bitte: Was soll das hier alles? Warum leben Designer, Computerspezialisten, Innovatoren aller Art freiwillig zusammen auf diesem leidlich intakten Landschloss? Sitzen im großen Saal an simplen Sperrholztischen, den Rücken in Richtung der Laptop-Bildschirme gebeugt? Stehen sägend und hämmernd in den zu Werkstätten umfunktionierten Ställen, schlafen in Zelten und duschen mit kaltem Wasser in einem selbst konstruierten Badehaus? »Weil«, sagt Kruse und holt weit aus, »auf den Klimakonferenzen der Vereinten Nationen viel beraten, aber nie etwas Konkretes beschlossen wird. Wir wollen aber Lösungen liefern.«
Die Lösungen, von denen Kruse, 35, spricht, sehen zu diesem Zeitpunkt noch aus wie bessere Bastelarbeiten: Sie bestehen aus einer guten Idee und Baumarkt-Utensilien. Darunter eine Endlosdusche, ein Generator aus Sonnenkollektoren, ein sich selbst versorgendes Gewächshaus – insgesamt zwölf Prototypen von zwölf Teams. Letztere wurden aus mehr als 100 Bewerbern für das Treffen ausgewählt, um ihre Ideen gemeinsam weiterzuentwickeln und die Baupläne später im Internet für jeden frei verfügbar zu machen.
Demokratisierung der Produktion
»Open Source« heißt die Philosophie, die hinter dem von Kruse und seinen Kollegen organisierten Camp steckt. Sie stammt aus dem Bereich der Computerprogrammierer und bezeichnet ursprünglich Programme, die keinem Urheberschutz unterliegen, also von jedem genutzt und weiterentwickelt werden können. »Wir wollen das mit unseren Prototypen auf die Produktebene übertragen«, sagt Kruse, der ausgebildeter Journalist ist und sich die Kampagnenleitung selbst beigebracht hat. Der von ihm mitbegründete Berliner Thinktank »Open State« hat gemeinsam mit der Pariser Denkfabrik »Oui Share« die Veranstaltung in Millemont organisiert. »Damit«, sagt Kruse, »wollen wir die Produktion wieder in die Hände der Nutzer geben, sie demokratisieren.«
Es fallen viele dieser großen Sätze im Schloss, meistens auf Englisch, häufig auf Französisch. Der Name des Camps bezieht sich auf die in diesem Jahr vom 30. November bis 11. Dezember in Paris stattfindende UN-Klimakonferenz: Die heißt offiziell COP 21 [für: United Nations Framework Convention on Climate Change, 21st Conference of the Parties], während sich Kruse und seine Kollegen unter dem Namen POC 21 [Proof of Concept] zusammengetan haben. Es geht also um den »proof«, den Beweis, dass es möglich ist, sich von der Energie- und Nahrungsmittelindustrie unabhängig zu machen. Und auch darum, diese Utopie zumindest für eine kurze Zeit auch wirklich vorzuleben.
Entwickler mit konkreten Zielen
Daniel Kruse führt die Besucher aus dem Schloss heraus, vorbei an großen, aufeinandergestapelten Pappwürfeln, die die Logos der Sponsoren zeigen, weiter über das Areal. Namhafte deutsche, dänische und französische Stiftungen und etablierte Forschungseinrichtungen haben das Projekt insgesamt mit 1 Million Euro finanziert und Experten aus diversen Geschäftsbereichen zur Unterstützung geschickt. Das Signal ist klar: Hier sind keine realitätsfremden Weltverbesserer am Werk, sondern Entwickler mit konkreten Zielen.
»Wir wollen Menschen den Zugang zu Energie erleichtern«, sagt Laurin Vierrath. Sein Projekt heißt Sunzilla – ein Name, der nicht zufällig an ein japanisches Filmungeheuer erinnert. Sunzilla ist ein Generator, der anstelle von Diesel die Sonnenkraft nutzt, um Strom zu erzeugen und zu speichern. Zusammengeklappt in Autoanhängergröße noch recht unscheinbar, wird er ausgeklappt zu einem regelrechten Monstrum mit einer Kollektorfläche von achteinhalb Meter Durchmesser. Vierrath will Sunzilla so weit entwickeln, dass jeder das System an seine Bedürfnisse anpassen kann. Ob zwei Kühlschränke in abgelegenen Gegenden für 100 Stunden betrieben oder 120 Handys von Popfestivalbesuchern je acht Stunden lang geladen werden sollen – Sunzilla soll den Saft liefern.
Windturbine für 25 Euro
Auch Daniel Conell beschäftigt sich mit Energieerzeugung. Sein Projekt ist eine vertikale Windturbine, die nur 25 Euro kosten soll. Sie besteht unter anderem aus einer Fahrradfelge und dünnen Aluminiumplatten, die beim Druck von Zeitungen und Magazinen zuhauf anfallen.
Das Projekt zeigt, was der Open-Source-Gedanke bewirkt: »Ich habe ein bereits bestehendes Open-Source-Design verwendet, weiterentwickelt und billiger gemacht«, sagt Conell, der sein Konzept seit geraumer Zeit in diversen europäischen Städten vorstellt und Workshops zum Bau der Turbine anbietet. Mal lebt der Brite in Bristol, mal in Leipzig – die Gemeinschaft der »Maker«, wie sich die modernen technischen Problemlöser selbst nennen, ist groß. In vielen Städten gibt es mittlerweile sogenannte FabLabs (Englisch: fabrication laboratories), in denen gemeinsam gewerkelt oder an 3-D-Druckern gedruckt werden kann – wie bei Mauricio Cordova. Der Peruaner hat in seiner Kindheit eine Cholera-Epidemie miterlebt. 10 000 Menschen kamen ums Leben. Mit seinem Filter »Faircap« will er sauberes Trinkwasser für jeden zugänglich machen. Das Gehäuse kommt aus dem 3-D-Drucker, die Aktivkohle für den Filter kann jeder selbst zu Hause herstellen. Von der Idee könnten eine Milliarde Menschen profitieren, die keinen Zugang zu sauberem Wasser haben. Der Filter soll später nur 1 Euro kosten, Mauricio Cordova will sich seine Idee nicht bezahlen lassen. Er versteht sich als Teil einer globalen Gemeinschaft. Open Source eben.