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Nur vier Monate nachdem der Student Markus Kreßler sein utopisch anmutendes Projekt einer Universität für Flüchtlinge ohne Papiere ins Leben rief, beginnen schon in diesem Wintersemester die ersten Geflüchteten mit dem Studium: An der Kiron-Universität soll jeder ohne große bürokratische Hürden studieren können—Zeugnisse oder die Vollständigkeit der Unterlagen spielen erstmal keine Rolle, was zählt, ist die Qualifikation. Am Ende werden die Studenten einen international anerkannten Bachelorabschluss in der Hand halten, ausgehändigt von einer deutschen Hochschule.

Aus dem kleinen Team aus der Gründungsphase im Mai ist mittlerweile ein großes Projekt mit zahlreichen Mitarbeitern geworden: Inzwischen arbeiten über 50 Ehrenamtliche in den verschiedensten Departments am Aufbau der kostenlosen Uni. Angetrieben werden sie von der Überzeugung, dass Flüchtlingen zur gelungenen Integration auch das deutsche Bildungssystem offen stehen sollte, statt sie mit langwierigem bürokratischen Prozedere von der Weiterbildung abzuhalten.

Markus, der statt dem Abschluss seines eigenen Studiums inzwischen Tag und Nacht an der Kiron-Universität bastelt, rechnet mit einem unglaublichen Ansturm auf sein Angebot: „100.000 Studenten sind durchaus realistisch“.

Allein der Hinweis auf die Online-Uni über den E-Mail-Verteiler von Brot für die Welt brachte Zehntausende neue Interessenten auf die Website, „die dann auch gern mal direkt alle ihre Zertifikate und Zeugnisse mitschicken, soweit vorhanden“. Wenn man sich anschaut, wie viele Menschen allein auf Facebook die Updates des Projekts kommentieren („Ich kann’s kaum erwarten, im Herbst endlich mein Studium anzufangen!“), erscheint die Kalkulation durchaus realistisch.

Bis zum erfolgreichen Semesterstart musste sich das Projekt jedoch immer wieder mit mehr oder minder absurden Hindernissen herumschlagen. Das beginnt schon beim ursprünglichen Bnglichen Namen, Wings University, mit dem das Projekt im Mai angetreten ist: Wie wir von Markus erfahren haben, musste man sich aufgrund einer Klage umbenennen, weil University angeblich ein „ein staatlich geschützter Qualitätsbegriff“ sei, den die junge NGO nicht benutzen dürfte; Wings war ebenfalls urheberrechtlich in den USA geschützt. So geht man nun eben unter dem Namen Kiron an den Start—sprich: kairon, nach einem Kentaur aus der griechischen Mythologie, der sich als einziger seiner Gang für Bildung statt Gemetzel entschied.

Auch das Konzept für den Studiengang an der Kiron hat sich in der Zwischenzeit stark verändert. „Wir haben uns dafür entschieden, in den ersten zwei Jahren ein Studium Generale per Fernstudium anzubieten“, erzählt mir Markus am Telefon. In dieser Zeit können die Studenten mit kostenlosen Kursen, die Kiron ebenfalls anbietet, nebenher Deutsch oder Englisch lernen, bevor sie im dritten Jahr auch persönlich an die Uni können.

Dafür hat Markus sechs Universitäten in Deutschland an Bord gebracht, die sich bereit erklärt haben, die durch Abbrecher freigewordenen Plätze im dritten Jahr eines Bachelorstudiengangs relativ unbürokratisch mit geflüchteten Studenten zu füllen. „Dafür braucht es keine extra Lehrkraft und die Studenten wissen genau, welche Anforderungen und Kursmodule sie jeweils davor online erfüllen müssen“, sagte Markus. An der privaten Macromedia-Hochschule in Berlin dürfen die Geflüchteten kostenlos den Campus mit ihren gespendeten Laptops mitbenutzen.

Unter den ehrenamtilichen Unterstützern sind auch renommierte Professoren, die das Curriculum ausarbeiten und der ehemalige griechische Botschafter in den USA. Ingesamt werkeln sechs Länderteams in der Türkei, Griechenland und den USA außerdem an der Internationalisierung und an Uni-Partnerschaften.

Markus’ Mitarbeiter Vincent und Nora besuchten derweil einen Strand in Griechenland, an dem Flüchtlinge landen. Sie sahen Unmengen an Menschen von den Booten an Land rennen—Bilder, die sich einprägen. „Da sind Ströme an Leuten unterwegs, das können wir uns hier noch gar nicht vorstellen.“ Kiron bietet nun all jenen Refugees, die vor ihrer Flucht und Vertreibung studiert haben oder kurz vor einem Studium standen, die Möglichkeit, ihren Lebensweg in Deutschland fortzusetzen.

Durch Studienabbrecher werden an deutschen Unis ständig Plätze frei—warum sie nicht mit Flüchtlingen besetzen?

Am Sonntag, den 6.9. läuft die Crowdfunding-Kampagne zur Unterstützung der Studenten an. Dort kann man zum Beispiel Hardware-Pakete kaufen: Für 100 Euro unterstützt eine Firma namens KeePod die Studenten mit einem kostenlosen refurbished Laptop mit Internetanschluss. 1.200 Euro finanzieren das gesamte dreijährige Studium eines Geflüchteten.

„Wir kriegen wahnsinnig viel fast umsonst. Aber selbst kleinste Verwaltungskosten—zum Beispiel für Bibliotheksnutzung an Unis, das sind nur acht Euro pro Studenten—sind dann hochgerechnet auf 100.000 Stundenden eben 800.000 Euro, die wir gerade nicht auf dem Konto haben“, erklärt Markus den Hintergrund der Finanzierungskampagne.

Es liegt dann in der Verantwortung der Studenten, je nach gewünschter Spezialisierung im zweiten Jahr die ideale Uni für den Abschluss zu finden und alle dafür benötigten Kurse vorher erfolgreich abzuschließen. Sobald die Anforderungen erfüllt sind, können die Studenten zusammen mit ihren deutschen Kommilitonen in der Uniklasse sitzen und dort auch ihre Bachelorarbeit betreut schreiben.

„Wir möchten unser Konzept von Bildung durchboxen“ sagt Markus entschlossen, „es ist Schwachsinn, dass man sich in unseren Studiengängen so früh spezialisieren muss, das braucht man alles gar nicht.“

Für die Studenten, die in abgelegenen Regionen wohnen und nicht an die Uni pendeln können, gibt es aber auch eine Lösung: Diese können ihr Fernstudium ebenfalls ab Oktober weltweit komplett online durchziehen—eben ganz nach Wahl. „Sie können sich sortieren und sollen möglichst wenig Zeit verlieren, nur weil sie aufgrund irgendwelcher nicht nachvollziehbaren Regelungen nicht anfangen können, etwas zu machen.“

Während des Studiums könnten Studenten mit Online-Kursen zudem noch Deutsch auf B1-Niveau lernen oder sogar das Fachabi nachholen. An den sechs deutschen Unis können zwischen 20 und 50 Plätzen für jeweils drei Studiengänge aufgefüllt werden.

„Keine Ahnung, wie viele da ins dritte Jahr kommen“, meint Markus, „aber bei unseren Events und Workshops hast du immer das Gefühl, keiner würde das je schleifen lassen. Die sind wahnsinnig stark intrinsisch motiviert.“

Tag(s) : #Erziehung, #Paradigmawechsel, #Pioniere, #Kulturell Kreative, #Ideen, #Social Entrepreneur, #Wissenschaft
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