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von Muna Wagner Kolumne *NSFAQ "not so frequently asked questions" _Gedankenfutter

"Ein Zyniker ist ein Mensch,der von allen Dingen den Preis kennt und von keinem den Wert weiß. Und ein Sentimentaler ist einMensch, der in allen Dingen einen lächerlichen Wert erblickt und von keinem einzigen den Marktwert weiß." Oscar Wilde (1854-1900), irischer Lyriker, Dramatiker und Bühnenautor

Die Frage nach dem Wert von Dingen, in diesem Fall von Arbeitsleistung, ist etwas trickreich. Denn je nach Definition kann es sich dabei, wie Oscar Wilde schon in seinem 1892 uraufgeführten Theaterstück „Lady Windermeres Fächer“ bemerkte, entweder um den Marktpreis oder eine Wertschätzung unabhängig von monetärem Ausdruck handeln, dem sogenannten „Wert an sich“. Da man allerdings von Luft und Liebe allein nicht leben kann, muss nun Arbeit entlohnt werden und zwar mit Geld. Entsprechend wird der Wert einer Arbeit in der modernen Gesellschaft – so es sich nicht um eine Arbeit im Ehrenamt handelt, die man eben nicht für Geld, sondern die besagte Ehre verrichtet – mit Geld gemessen.

Von dieser Warte aus betrachtet muss logischerweise folgen, dass das Prinzip Angebot und Nachfrage den (monetären) Wert von Arbeit in jeder Marktwirtschaft bestimmen muss. So verfügt man als Experte per definitionem über mehr Wissen als andere auf dem entsprechenden Fachgebiet und sobald bzw. solange dieses Wissen heiß begehrt ist, also nachgefragt wird, hat die Arbeit dieses Experten einen höheren Wert. Je bessere Arbeit er leistet, desto mehr kann er für seine Tätigkeit verlangen. So „verdient“ er mehr, seine Arbeit ist mehr „wert“.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir Expertenwissen ungemein schätzen. In Zeiten von Ungewissheit, in der bestehende Strukturen immer mehr ins Wanken geraten und Krisen verschiedenster Natur plötzlich das eigene Gefühl der Sicherheit zu bedrohen scheinen, sind Experten mit den Zaubertrankverkäufern aus dem Mittelalter zu vergleichen. Sie müssen die Lösung haben, die dafür sorgt, dass alles besser wird oder zumindest der Standard nicht sinkt. Wer dies glaubhaft vermitteln kann, der wahrt sich seine Position in der Gesellschaft und damit seinen Marktwert. Gleichzeitig gibt es natürlich auch Bereiche, in denen wir Bürger noch nicht einmal wussten, dass wir einen Experten benötigen, der uns mit Rat und Tat zur Seite steht: Sei es als Work-Life-Balance Coach oder aber auch nur als Berater für das neueste Smartphone. Jeder kann damit zum Experten werden. Die Kunst besteht nur darin, etwas zu erfinden, ohne das niemand mehr leben kann, wenn er es einmal entdeckt hat (wie das funktioniert, wissen wir alle seit google, facebook und whatsapp). Nur was? Zündende Ideen kommen ja leider nicht immer auf Zuruf.

Aber ist Expertise wirklich das entscheidende Kriterium für den monetären Wert einer Arbeit? Nein, denn das wäre zu einfach. Der Wert einer Arbeit kann auch dann steigen, wenn sie zwingend gemacht werden muss, sie aber niemand wirklich gerne machen will. Das offensichtlichste Beispiel sind hier diejenigen Männer und zunehmend auch Frauen, die unsere Straßen vom Müll befreien: die Stadt- und Gemeindereiniger. Jobs werden also auch dann gut bzw. besser vergütet, wenn sie keiner machen will. Diesen Schluss kann man zumindest schnell ziehen, wenn man an die harte Arbeit der Müllmänner- und frauen denkt. Aber was ist mit der Arbeit von Gebäudereinigern? Hierbei handelt es sich auch nicht um Tätigkeiten, die die breite Masse der Bevölkerung machen will. Nur werden diese Arbeiten deshalb nicht gleich besser vergütet.

Denkt man nun an diejenigen Jobs, die am unteren Ende der Produktionskette stehen, dann erscheint die wertende Vergütung auch nicht sinnvoller. Viele Aushilfstätigkeiten können von vielen Menschen erledigt werden, sie seien schließlich kein „Hexenwerk“, ein Expertenwissen entsprechend nicht von Nöten. Dies gilt sowohl für die Beantragung von Zoll- und Ausfuhrgenehmigungen wie auch dem gekonnten Einpacken von Geschenken, ob nun Buch oder ein Luxusgut wie Schmuck. Der Grundgedanke dahinter ist, dass diese Tätigkeit ja jeder kann. Daher hat die geleistete Arbeit einen geringeren Wert, was sich in weniger Gehalt übersetzt. Manche Dinge, wie etwa Geschenke schön und zur Kundenzufriedenheit schnell und effizient einpacken, kann ich leider nicht. Glauben Sie es mir, ich habe es versucht. Also kann sie dann doch nicht „jeder“ gleichermaßen gut. Nun ist es jedoch so, dass die Arbeit des Geschenkeinpackers eines Onlineshops diejenige ist, die dem Kunden als erstes ins Auge fällt. Denn ein schlampig eingepacktes Geschenk sorgt für Missmut beim Kunden und kann im schlimmsten Fall zu sinkenden Verkaufszahlen führen. Selbiges gilt auch für die Abwicklung der Zollgenehmigungen. Ein fehlerhaft ausgefülltes Formular kann die Lieferung um Tagen bis Wochen verzögern, was bereits unmittelbar zu deutlich höheren Kosten führen und sich auf Dauer und bei stetiger Wiederholung negativ auf das gesamte Unternehmen auswirken kann. Diese Tätigkeiten, die in der Produktionshierarchie am untersten Ende angesiedelt werden, tragen folglich also ebenfalls ihren Teil zum Erfolg eines Unternehmens bei. Nur eben nicht genug, dass ihre Arbeit so entlohnt wird, dass man davon leben kann. Das ist sie nicht wert. Diese beiden Berufsgruppen sind nur ein paar der kleinen, Randarbeiten in unserer Gesellschaft. Was ist mit Kindergärtnerinnen, was mit Pflegekräften, ob im Heim oder im Krankenhaus oder denjenigen, die dann anfangen zu arbeiten, wenn der Großteil von uns nach Hause geht und dafür sorgen, dass das Büro am nächsten Tag wieder so aussieht, dass man fröhlich „managen“ kann?

Mit wem werden Sie sich identifizieren, wenn Sie das nächste Mal eine Gehaltsverhandlung führen? Mit dem Unternehmen, für das Sie arbeiten und das wieder erfolgreich ein Schnippchen geschlagen hat, weil es eine exzellent ausgebildete, überqualifizierte Aushilfe für den Mindestlohn gefunden hat – weil es der Markt eben ermöglicht? Oder mit dem Experten, der klar und selbstbewusst einen festen Betrag für seine Arbeit fordert, weil seine Marktposition eben auch dies ermöglicht? Wer ist denn dieser Markt, der die Strippen zieht und unter dessen Regeln wir alle wie Marionetten tanzen?

Sicherlich haben wir alle eine Wahl zu treffen und sind in dieser auf gewisser Ebene frei – so frei wir eben sind, die Konsequenzen dieser Entscheidung zu tragen. Aber diese Wahl haben auch diejenigen, die am längeren Hebel sitzen. Als Kinder haben wir alle (davon bin ich überzeugt) auf die eine oder andere Weise erklärt bekommen: „Was man nicht will, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Komisch, dass wir dies als Erwachsene unseren Kindern stets vermitteln, aber diesen Gedanken verlieren, sobald es ums Geld geht, ganz so, als hätte es der andere dann eben auch nicht anders „verdient“. Aufeinander Rücksicht nehmen, den Schwächeren nicht schlagen, nur weil man der Stärkere ist, ein Miteinander gestalten. Was in der Erziehung der Klein- und Grundschulkinder eine entscheidende Rolle spielt, scheint mit dem Eintritt in die Arbeitswelt jede Bedeutung zu verlieren. Oder haben diese Ansichten, diese Werte, nur im engsten Familien- und eventuell noch Freundeskreis bestand?

Am Ende des Tages, nach getaner Arbeit, kann niemand sagen, ob das Geld, was Sie mit Ihrem Einsatz verdienen, wirklich den Wert Ihrer Tätigkeit widerspiegelt. Die Gesellschaft wird es versuchen, der Markt wird es sogar erfolgreich diktieren. Aber letztendlich ist der Wert einer jeden Sache stets nur der, den man ihr selbst gibt. Ganz für sich allein gedacht, nicht im Vergleich mit anderen. Unabhängig und frei von der Meinung Anderer. Die Bewertung erfolgt ganz subjektiv vor dem eigenen inneren Spiegel, der eigenen Messlatte. Und eine solche Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit, mit seiner Haltung, mit seinem erzielten Resultat, ist das nicht jede Mühe “wert“?

Muna Wagner, geboren 1982 in Brasilia, wächst in fünf verschiedenen Ländern auf und entwickelt früh eine Faszination für die Vielfalt der Kulturen und die Menschheit verbindende Elemente. Dieses Thema ist ein stetiger Begleiter in ihrem Beruf, sei es als freie interkulturelle Trainerin oder als Autorin der Kolumne „Über den Tellerrand“ und Gastbloggerin zu gesellschaftspolitischen Themen. Daneben schreibt sie Gedichte, von denen einige 2006 in Indien veröffentlicht werden. Dem Medium Film an sich und dem Drehbuchschreiben im Besonderen, das sie schon früh als erzählerisches Format begeistert, widmet sie sich 2009 mit dem Studiengang „Screenwriting“ an der New York Film Academy, USA. Mit dem Drehbuch FORGIVE AND FORGET, in dem es um die Vergebung in einer jüdisch-deutschen Familie geht, schließt sie ihr Studium ab. Für die indische NGO WasteLess verfasst sie 2012 Kurzgeschichten, in denen sie Kinder schrittweise an Umweltschutz heranführt; diese Geschichten werden an staatlichen Schulen als Lehrmaterial eingesetzt. Derzeit arbeitet sie nach STILLE (2015) an ihrem zweiten Kurzfilm DAS PICKNICK.

Muna Wagner, geboren 1982 in Brasilia, wächst in fünf verschiedenen Ländern auf und entwickelt früh eine Faszination für die Vielfalt der Kulturen und die Menschheit verbindende Elemente. Dieses Thema ist ein stetiger Begleiter in ihrem Beruf, sei es als freie interkulturelle Trainerin oder als Autorin der Kolumne „Über den Tellerrand“ und Gastbloggerin zu gesellschaftspolitischen Themen. Daneben schreibt sie Gedichte, von denen einige 2006 in Indien veröffentlicht werden. Dem Medium Film an sich und dem Drehbuchschreiben im Besonderen, das sie schon früh als erzählerisches Format begeistert, widmet sie sich 2009 mit dem Studiengang „Screenwriting“ an der New York Film Academy, USA. Mit dem Drehbuch FORGIVE AND FORGET, in dem es um die Vergebung in einer jüdisch-deutschen Familie geht, schließt sie ihr Studium ab. Für die indische NGO WasteLess verfasst sie 2012 Kurzgeschichten, in denen sie Kinder schrittweise an Umweltschutz heranführt; diese Geschichten werden an staatlichen Schulen als Lehrmaterial eingesetzt. Derzeit arbeitet sie nach STILLE (2015) an ihrem zweiten Kurzfilm DAS PICKNICK.

Tag(s) : #Kolumne, #Oekonomie, #Bewusstsein
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